top of page

Einige Überlegungen zum Materialeinsatz bei der Herstellung von Brillengläsern

  • Autorenbild: Admin
    Admin
  • 6. Aug. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 13. Aug. 2023

1. Einleitung


Eines der größten ökologischen Probleme der Brillenglasherstellung ist die anfallende Menge an zerspantem Material. Heute ist dieses in Europa hauptsächlich Kunststoff. Bei der Bearbeitung eines Brillenglases werden im Schnitt weit mehr als 50% des Gewichts, des für die Herstellung benötigtem Halbteils, als Abfall entsorgt. Hierbei fallen nicht nur Material- und Energiekosten für die Herstellung des zu zerspanenden Materials an, inklusive der damit verbundenen CO2-Belastungen, sondern auch die Entsorgung dieser Abfälle belastet den Geldbeutel und die Gewässer.


Aus Fertigungssicht gibt es zwei Arten von Brillengläsern. Erstens Produkte mit einer maximalen Variantenanzahl von ein paar Hundert pro Material, wie sphärische und torische SV-Gläser. Diese werden in Serienfertigungen gegossen bzw. spritzgegossen. Der Vorteil dieses Fertigungsverfahrens ist der niedrige Herstellpreis, der auch teilweise auf dem niedrigeren Materialeinsatz beruht. Für hohe Variantenzahlen sind diese Verfahren aber aus logistischen Gründen nicht geeignet. Progressivgläser oder auch prismatische SV-Gläser werden spanend, nach Auftragseingang durch den Kunden, gefertigt. Dazu wird in einer Serienfertigung ein Halbteil gefertigt, mit bis vielleicht 20 Varianten (Basiskurven/Durchmesser) pro Material, welches auf Lager gelegt wird. Die Technologie dafür entspricht der für die Herstellung von fertiggegossenen Gläsern.


Die Entscheidung einen erheblichen Anteil der Brillengläser über spanende Verfahren herzustellen ist aber nicht durch mangelndes Umweltbewusstsein oder ein achselzuckendes „weil`s billig ist“ bedingt. Sondern es wird durch die hohen Variantenanzahl dieses Produktes bedingt. Diesen Gedanken möchte ich im Folgenden ausführen.


2. Fertigung von Brillengläsern und Variantenanzahl


Die Brillenoptik beruht im Allgemeinen auf Brechungseffekten. D.h. zwei gekrümmte Flächen eines transparenten Körpers werden so zu einander positioniert, dass die Kombination, aus den beiden Flächenkrümmungen und der Dicke des Glases, die entsprechenden optischen Eigenschaften ergibt.


Die einfachste Kombination wären die aus zwei sphärischen Flächen, die nicht zu einander verschoben oder verkippt sind. Damit ergibt sich für eine bestimmte Kombination aus Glaskrümmungen genau eine Glasvariante. Natürlich gibt es mehr als eine Wirkung für Brillengläser. Der Standardwirkungsbereich liegt meist zwischen +10 dpt und -10 dpt, mit einer Abstufung von einer ¼ dpt. Dem entsprechend würde sich auch die Variantenanzahl der notwendigen Gläser erhöhen. Für mein Beispiel der Entwicklung der Variantenanzahl ist aber dieser Effekt nicht von grundsätzlicher Bedeutung, da auch für den Standardwirkungsbereich die Anzahl der Varianten gering ist.


Die nächste mögliche Kombination wäre die aus einer Sphäre und aus einem Torus, die nicht zu einander verkippt sind. Mit einer Abstufung von 0,25 dpt für den Zylinder, und einem maximalem Zylinder von 4 dpt, ergeben sich schon 16 Varianten für eine Wirkung. Diese Flächenkombination hat nun eine optische Vorzugsrichtung, die Zylinderachse, die immer noch ohne Probleme, durch drehen des Glases, an die Orientierung der Brillenfassung angepasst werden kann, dass die Zylinderachse nicht zu einer Erhöhung der Variantenanzahl führt.


Wenn nun noch die beiden Flächen zu einander gekippt werden, und damit ein Prisma erzeugt wird, steigt die Anzahl an Varianten steil an. Denn die Basislage der prismatischen Verkippung steht in keinem festen Verhältnis zur Achslage des Zylinders. Damit würden sich aus einer Kombination von einer sphärischen Wirkung, und Prisma mit beliebiger Basislage auch nur eine Variante ergeben. So bald aber eine Rückfläche mit zylindrischer Wirkung dazu kommt ergeben sich mehr als 5000 Varianten, und das nur für eine sphärische Wirkung. Über den gesamten Standardwirkungsbereich sind es dann mehr als 460.000 Varianten. Diese Variantenanzahl ist zu hoch, um sie durch Lagerhalterung vorrätig zu haben.


Es ist leicht vorstellbar, dass wenn eine Fläche keine Sphäre oder ein Torus ist, sondern zum Beispiel eine Progressivfläche, die Variantenanzahl sich durch die zusätzlichen Parameter wie Addition, Länge Progressionskanal, Inset usw., zu einem logistischen Alptraum entwickeln würde, wenn sie über eine Serienfertigung hergestellt werden müssten. Genau deshalb verläuft die Grenze zwischen Serien- und Individualfertigung in der Brillenglasherstellung zwischen sphärisch/torischen Gläsern ohne Prisma (Serienfertigung) und prismatischen oder auch progressive Gläser mit sehr hohen Variantenanzahlen, die individuell gefertigt werden.


3. Herstellverfahren Brillenglas


Ein Halbteil hat heute meist eine sphärische Frontfläche, die funktionsfähig ist. D.h. sie hat den geforderten Krümmungsradius, und auch die kosmetische Qualität entsprechend der des fertigen Brillenglases. Die pro Material vorhandene Anzahl an Basiskurven liegt zwischen 8 und 20. Die konkave Rückseite des Halbteils hat aber noch nicht, die für die bestellte Wirkung, notwendige Rückflächenkrümmung. In genau dieser Rückfläche werden bei der spanenden Bearbeitung alle Varianten, im Regelfall bis auf das Prisma, abgebildet. Dazu müssen für die bestellte Wirkung des Glases, die lokalen Krümmungen aus dem Material herausgearbeitet werden.


Dieses geschieht durch einen spanenden Prozess der hauptsächlich aus den Schritten Blocken (Anbringen eines Blockstückes zur Definition der Orientierung des zu bearbeitenden Glases für alle folgenden Prozessschritte und dem automatischen Handling), Generieren (Erzeugung der korrekten Geometrie der Rückfläche des Glases, Polieren (Erzeugen einer optischen, kosmetischen Qualität der Glasrückfläche ohne die beim Generieren erzeugte Geometrie zu stark zu verändern) und dem Gravieren (permanente Markierungen im Glas um die Orientierung der Geometrie auch ohne Blockstück erkennen zu können). Der hauptsächliche Materialabtrag erfolgt beim Generieren, genauer gesagt beim Fräsen.


Wegen der hohen Variantenanzahl von Rückflächengeometrien, die aus einer Basiskurve herausgearbeitet werden soll, wird die Dicke des Banks auf den maximal zu fertigenden Zylinder oder Addition ausgelegt, was den Anteil des zu zerspanenden Materials für die meisten Gläser unnötigerweise erhöht. Dieses ist der Hauptgrund für den hohen Materialverbrauch bei der spanenden Herstellung von Brillengläsern.


4. Gibt es eine Möglichkeit den Materialeinsatz zu minimieren


Wie oben beschrieben ist der Hauptgrund für den hohen Materialeinsatz in der spanenden Brillenglasherstellung die große Anzahl an Varianten. Aus diesem Grund ergibt sich auch kein Vorteil, wenn man von der Brechungsoptik zur Beugungsoptik wechselt, da diese nicht die Anzahl an Varianten verringern würde. Auch wenn man in Rechnung stellt, das für eine Brillenglas basierend auf Beugungseffekten kein Dickenreduktionsprisma notwendig wäre.


Wenn man sich die Haupteinflussfaktoren auf die Variantenanzahl von Progressivgläsern anschaut, sind dieses die Anzahl der möglichen Achslagen des Zylinders, sowie die Basislagen des Prismas. Diese Parameter von den progressiven optischen Parametern zu entkoppeln, würde die Variantenanzahl bei Mehrstärkengläsern drastisch reduzieren.


Eine denkbare Lösung zur Reduzierung der Anzahl an Varianten wäre die Kombination von brechungs- und beugungsoptischen Komponenten, in Form eines sphärisch/torischen Halbteils (Brechung) und einer Folie mit optisch aktiven Struktur (Beugung) auf der sphärischen Vorderfläche des Halbteils. Dann wäre es möglich die Zylinderachse durch Drehung korrekt zu positionieren, ohne von der Orientierung der progressiven Funktionsfläche abzuhängen.


Wenn eine solche Kombination optisch sinnvoll ist, dann ergeben sich vielfältige Möglichkeiten. Der Materialverbrauch für die Herstellung von Brillengläsern würde deutlich sinken, da die Halbteile fertig gegossen werden könnten. Es würde nur noch ein spanender Prozess zum Einschleifen der Gläser in die Fassung notwendig sein.


Ein weiterer Vorteil wäre, dass das Aufbringen der Folie ein Prozess mit sehr kurzer Prozesszeit ist. Es wäre denkbar dieses im Optikergeschäft durchzuführen, vor allem wenn die Folie schon entspiegelt wäre. Das heißt der Kunde könnte nach kürzester Zeit mit seiner Brille das Geschäft verlassen. Interessant wäre eine Klebetechnologie die auch wieder gelöst werden kann. Dann wäre es möglich so zu sagen eine Probefahrt mit der neuen Brille zu machen, ohne lange Wartezeiten oder erhebliche Kosten.


Bei Reklamationen, wie Unverträglichkeiten oder Beschädigungen der Entspiegelung, könnte im Prinzip auch die alte Folie entfernt, und eine neue Folie aufgebracht werden. Auch ein Färben der Folie mittels eines Druckers, vor dem Aufbringen auf dem Glas, wäre denkbar. Wenn wie oben beschrieben die Folie tauschbar wäre, könnte sogar bei einem „Umfärben“ kein zusätzlicher Kunststoffabfall entstehen.


5. Einschränkungen


Natürlich lassen sich nicht alle hoch individualisierten Progressivgläser in dieser Form herstellen, sondern die hier vorgestellten Übelegungen sind nur eine Idee, um den Materialeinsatz bei der Herstellung von progressiven Standardbrillengläsern zu reduzieren. Da die meisten Brillengläsergläser so oder so auf einen Standardkopf und -fassung optimiert werden, könnte diese Überlegung aber doch möglicherweise zu größeren Materialeinsparungen führen.


Daneben könnte die Mittendicke bei hohen Pluswirkungen und kleinen Glasdurchmesser etwas größer sein, als bei der jetzigen Herstellmethodik.


Grundsätzlich sind hohe Pluswirkungen ein Problem, da das Aufziehen der Folie bei den hohen Krümmungen der Basiskurven schwierig ist.


 
 
 

Comments


Recent Posts

© 2017 by Andreas Kaufmann

  • Grey Twitter Icon
bottom of page